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Den Trend nicht verschlafen

XTRA-ARTIKEL AUSGABE 2/2022

Das Institut für Pathologie am Universitätsklinikum Essen gehört zu den Vorreitern im Bereich digitaler Laborworkflow. Im Gespräch erklärt Institutsmanagerin Silke Skottky, wie dies geschehen ist und warum auch andere auf Digitalisierung setzen sollten

Text: Dr. Olaf Scheel

Frau Skottky, als pathologisches Institut an einem Universitätsklinikum wird bei Ihnen neben der Diagnostik auch Lehre und Forschung betrieben und Sie kümmern sich zudem um die Ausbildung von Pathologinnen und Pathologen sowie technischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Labor. Das klingt nach sehr vielen Aufgaben, oder?

In der Tat haben wir ein sehr großes Volumen an Aufgaben und Fällen. Allein im Bereich der allgemeinen Histologie haben wir pro Jahr etwa 35.000 Eingangsfälle, dazu kommen rund 60.000 Immunhistologien und bis zu 7.500 Zytologien. Alles in allem sind es 380.000 Slides pro Jahr. Und wie Sie schon sagten, steht für uns neben der Krankenversorgung auch die Forschung und Lehre im Fokus. Denn auch wenn in der Pathologie Routinefälle diagnostiziert werden, ist es enorm wichtig, die aktuelle Forschung im Blick zu behalten.

Welche Rolle spielt dabei die digitale Pathologie, warum wollten Sie dieses Feld in Ihrem Haus voranbringen?

Als wir 2011 angefangen haben, uns mit der digitalen Pathologie zu befassen, hieß diese noch gar nicht so. Es ging uns zunächst im Rahmen des Qualitätsmanagements darum, die Proben- und Patientensicherheit zu gewährleisten. Um hier Fehler zu minimieren, muss aber ganz tief in die Routineabläufe in der Pathologie hineingegangen werden – und dabei haben wir festgestellt, dass sich die Bearbeitung von Proben seit vielen Jahren überhaupt nicht verändert hat, dass also technologische Fortschritte bei Hard- und Software sowie Automatisierung überhaupt nicht genutzt wurden. Zwar gab es zum Beispiel durchaus spezielle Drucker für die Histologie, doch am Ende saß dort immer ein Mensch und musste händisch eine Nummer auf einen Objektträger schreiben, weil das automatisch nicht ging. Da haben wir gesagt, dass das nicht der richtige Ansatz sein kann, sondern dass eine Reform nötig ist, die unserem modernen Zeitalter gerecht wird.

Was wir heute mit der digitalen Arbeitsweise an Leistung und Aufgaben schaffen, das wäre früher bei gleicher Personalstärke gar nicht gegangen

SILKE SKOTTKY

Eine gute Software ist die Basis

Das ist verständlich. Und wie sind Sie dann vorgegangen?

Zunächst wurde geschaut, was dahingehend in anderen Industrien gemacht wird. In der Lebensmittelindustrie zum Beispiel ist auf jedem Produkt ein Label mit Barcode angebracht und die Rückverfolgung ist dadurch problemlos möglich. Uns war klar, das brauchen wir auch für unsere medizinischen Proben. Bei der Planung und Konzeption mit den entsprechenden Fachleuten ist schnell klar geworden, dass die wichtigste Basis für so ein System die richtige Software ist. Es gab damals schon Pathologieinformationssysteme, und als wir das erste Mal gesehen haben, wie so eine Software den digitalen Workflow abbildet, war das ehrlich gesagt zunächst etwas überwältigend. Man konnte sich nicht vorstellen, jemals mit so etwas zu arbeiten. Aber natürlich war uns auch klar, dass der digitale Workflow die Grundlage für die künftige Arbeitsweise in unserer Pathologie sein muss.

Spielten bei diesen Überlegungen auch schon das Einscannen der Objektträger und eine digitale Befundung eine Rolle?

Es gab zu diesem Zeitpunkt schon Slidescanner und es wurde darüber gesprochen, dass Mediziner sich digitale Slides auf großen Bildschirmen anschauen können. Doch unserer Meinung nach waren die Pathologen so schnell nicht vom Mikroskop wegzubekommen. Daher war unsere Strategie, zunächst einen standardisierten digitalen Workflow im Labor zu etablieren, um anschließend die digitale Befundung für die Pathologen auf dieser etablierten Basis zu ermöglichen.

Das heißt, dass die digitale Pathologie bei Ihnen hauptsächlich ausgehend vom digitalen Workflow mit der Probennachverfolgung und der entsprechenden Software entwickelt wurde?

Ja, das stimmt, es gab wie gesagt damals noch keine Definition von digitaler Pathologie, und dann haben wir einfach selbst eine gemacht. Das machen wir gern so in Essen. Dabei haben wir für uns diese beiden Hauptbestandteile identifiziert: den digitalen Workflow und das Befunden an einem digitalen Bild. Die richtige Strategie für die Umsetzung war für uns aber zunächst die Fokussierung auf den digitalen Workflow.

Erfolgserlebnis als Motivator

Welche konkreten Schritte haben Sie dann unternommen?

Das Ziel war es, dass jede Probe automatisch mit einem Barcode versehen wird und ihre Informationen zurückverfolgt werden können. Nach Installation und Einrichtung der Software hat es zunächst einmal ein paar Tage gedauert, bis alles wirklich stabil lief. Denn es ist bei dieser Arbeitsweise enorm wichtig, dass sich alle Mitarbeiter genau an die definierten Abläufe halten. Schon nach kurzer Zeit hat sich aber alles gut eingespielt und dieses Erfolgserlebnis war ein großer Motivator für alle. Letztendlich sind aber die Standardisierung und Automatisierung von Prozessen und Verfahren die essentiellen Bausteine in der Digitalisierung.

Sie haben vorhin berichtet, dass sich die Arbeitsweise bei Ihnen eigentlich über viele Jahre nicht verändert hat. Da war diese radikale Umstellung für die Mitarbeitenden sicher nicht einfach, oder?

Die erfolgreiche Etablierung des digitalen Workflows hing entscheidend vom Schulungskonzept ab, in das wir sehr viel Energie gesteckt haben. Es war pyramidenförmig von oben nach unten und granular aufgebaut. Es gab Testsysteme, an denen die Mitarbeitenden üben konnten. Auch haben wir Personen mit mehr oder weniger Schulungsbedarf in unterschiedlichen Gruppen zusammengefasst. Auch bei uns exisierte ein Altersgefälle und es war erwartbar, dass die sogenannten Digital Natives weniger Berührungsängste im Umgang mit der Software hatten. Dahingehend haben wir auch unsere Schulungsgruppen zusammengestellt. Die Schulung war deshalb insgesamt sehr erfolgreich, und heute können sich die Mitarbeitenden gar nicht mehr vorstellen, wie eine Arbeitsweise ohne Barcodes und Probentracking früher überhaupt funktionieren konnte.

Hat die Umstellung des Workflows denn auch die Effizienz ihres Labors gesteigert?

Was wir heute mit der digitalen Arbeitsweise an Leistung und Aufgaben schaffen, das wäre früher bei gleicher Personalstärke gar nicht gegangen. Als Ökonomin ist das für mich eine klare Effizienzsteigerung. Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel: Wenn früher irgendwo ein Fehler aufgetreten ist, waren mehrere Mitarbeiter mit der Recherche nach der Ursache beschäftigt. Während dieser Zeit konnten sie ihren eigentlichen Aufgaben nicht nachgehen. Heute reicht ein Blick in den Computer und man sieht sofort, was passiert ist oder an welcher Arbeitsstation die Prozesskette unterbrochen wurde.

Mehr Effizienz und Remote-Option

Der digitale Workflow steht bei Ihnen also auf einer stabilen Basis. Was waren nun die Auswahlkriterien für die Gewebescanner und die Software?

Der wichtigste Aspekt bei der Auswahl war, dass die Scanner und die Viewer-Software in unser bestehendes Pathologieinformationssystem integriert werden konnten. Daher ist es wichtig, dass die Hersteller sich mit offenen, frei verfügbaren Standards wie IHE und DICOM auskennen und einen zuverlässigen Service bieten. Daneben sind natürlich Zuverlässigkeit, Geschwindigkeit und Abbildungsqualität des Scanners wichtig. Daher haben wir mit dem Pannoramic 1000 einen modernen Hochleistungsscanner in unserem Labor etabliert, mit dem das Probenaufkommen in der diagnostischen Routine zuverlässig eingescannt werden kann.

Wie fällt die Reaktion der Ärztinnen und Ärzte auf die digitale Arbeitsweise aus, dominiert eher Skepsis oder Vorfreude?

Die ersten Ärzte befunden bereits digital mit dem SlideViewer am Bildschirm und erkennen klar die Vorteile. Wir arbeiten auch mit Ärzten zusammen, die Proben nicht bei uns im Haus befunden, sondern in Außenstellen. Aktuell ist es noch so, dass wir beispielsweise einen Pathologen mit einem Fahrdienst bedienen müssen, eine Dermapathologin muss regelmäßig weite Wege über den Campus zurücklegen. Und das alles nur, weil physische Objektträger nicht einfach von hier nach dort gebeamt werden können. Das ist wahnsinnig ineffizient, teuer und kostet Zeit. Mit digitalen Scans sieht das hingegen ganz anders aus, es muss niemand auf den Fahrdienst warten oder irgendwohin laufen. Zudem ist es für Pathologen wichtig, einen Fall mit Kollegen anzuschauen und zu besprechen. Bisher waren dafür zeitaufwendige Treffen nötig, digital geht das schnell am Monitor. Das ist eine Anwendung der digitalen Pathologie, die sehr vielen Ärztinnen und Ärzten wichtig ist und letztendlich die Diagnostik verbessert.

Welchen Einfluss hat die digitale Pathologie auf die Wissenschaft?

Wir haben am Universitätsklinikum das IKIM, das Institut für künstliche Intelligenz in der Medizin, und die SHIP, die Smart Hospital Information Plattform. Das heißt, dort werden Forschungsdaten gesammelt. Sie können sich vorstellen, dass Daten aus der Histopathologie mit den Annotationen auf den digitalen Gewebeschnitten besonders im Bereich der Molekularpathologie hochinteressant sind für die Wissenschaft.

Künstliche Intelligenz wird immer wichtiger

Wie wird sich die Pathologie durch diese Entwicklungen in den nächsten zehn bis 15 Jahren verändern?

Der digitale Aspekt wird in der Pathologie in Zukunft sicher noch weiter an Bedeutung gewinnen. Ein Katalysator dafür war die Covid-19-Pandemie, aber dieser Trend ist auch gesellschaftlich begründet, vor allem durch den demografischen Wandel und Fachkräftemangel. Das gilt nicht nur für den ärztlichen Bereich, sondern auch für MTAs und TAs. Wir werden es uns in Zukunft gar nicht mehr leisten können, auf Fachpersonal zu verzichten, das aus unterschiedlichen Gründen nur remote arbeiten kann oder möchte – beispielsweise jene Menschen, die in Elternzeit zu Hause sind, aber trotzdem beruflich tätig sein möchten. Wer sich mit diesen Fakten nicht beschäftigt, den bestraft das Leben.

Das klingt nach einem sehr großen Entwicklungspotenzial. Gibt es neben der höheren Effizienz und der Möglichkeit, remote zusammenzuarbeiten, noch weitere Vorteile der digitalen Pathologie?

Auch die künstliche Intelligenz (KI) spielt in der Pathologie bereits eine sehr große Rolle. Und die digitalen Datenbanken werden wachsen, zum Beispiel in der Immunhistologie und noch mehr in der Molekularpathologie. Eine mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Software kann diese Daten sekundenschnell abfragen, vergleichen und Muster erkennen. Ein Mensch kann das gar nicht leisten. In der Routinediagnostik kann die KI damit eine wichtige Entscheidungshilfe für Pathologen werden und sie erheblich unterstützen. Gerade unter dem Aspekt des demografischen Wandels – also der Tatsache, dass es in Zukunft immer weniger Pathologen geben wird – kann die digitale Pathologie einen Beitrag leisten, dies abzufangen und die Qualität der Befundung und der Ergebnisse noch deutlich zu steigern.

 

Summary

  • Das Institut für Pathologie am Universitätsklinikum Essen ist in Deutschland einer der Vorreiter beim digitalen Workflow
  • Wichtig für die Auswahl der dafür notwendigen Scanner und Viewer ist deren Integrierbarkeit in die bestehende Laborsoftware

 

Fotoquelle: Sebastian Wolf

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