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Das Blutbild in der Intensivmedizin

XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2021

 

Ob Anämie, Infektionen, COVID-19 – neue Routine-Blutbildparameter können die Diagnostik schnell und kostengünstig unterstützen 

Text: Ramona El Fatmi 

 

Beatmungsschläuche, Lungenversagen und ein Kampf auf Leben und Tod: alles Schlagwörter, mit denen uns Medien seit Monaten konfrontieren und die viele automatisch an Coronaerkrankte auf Intensivstationen denken lassen. Mehr als drei Millionen Menschen weltweit kostete die SARS-CoV-2-Infektion das Leben. Dass jedoch während der Pandemie laut Sepsis Stiftung ca. 5,5 Millionen Menschen an einer Sepsis aufgrund anderer Infektionen verstorben sind, wird leicht vergessen. 

Dritthäufigste Todesursache 

Deutschlandweit liegt die Sepsis mit jährlich ca. 75.000 Todesfällen auf Rang drei der Todesursachen. Sie ist eine systemische Reaktion des Organismus auf eine unkontrollierte Infektion und ein lebensbedrohlicher Zustand, der eintritt, wenn die Antwort des Körpers auf die Infektion die eigenen Gewebe und Organe bis zum Organversagen schädigt. Verursacher der meisten Infektionen sind Bakterien (häufig) und Viren – aber auch Pilze und Prionen. Durch bessere Vorsorge, Früherkennung und Behandlung könnten viele Sepsis-Todesfälle verhindert werden – so die WHO.  

Eine der großen Herausforderungen ist, die bakterielle Infektion schnell von einer systemischen nicht infektiösen Reaktion (SIRS) zu unterscheiden. Ein positiver Erregernachweis, beispielsweise mit positiver Blutkultur, gilt neben den definierten klinischen Symptomen für Sepsis als beweisend. 

Das Ergebnis der Blutkultur ist jedoch frühestens nach zwei Tagen verfügbar. Durch den Mangel an geeigneten singulären Biomarkern sowie spezifischen klinischen Untersuchungsverfahren erfolgt die Diagnosestellung „Sepsis“ oft erst zeitlich verzögert – bereits ein einstündiger Therapieverzug erhöht die Mortalität um zwei Prozent.  

Zwar haben Forscher ein alternatives diagnostisches Verfahren etabliert, das Erreger aller Art mittels Next Generation Sequencing wesentlich schneller und zuverlässiger nachweisen soll, aber eine Etablierung in die Routine ist aufgrund von Verfügbarkeit und Umsetzung schwer. Routinetaugliche Alternativen sind daher von größtem Interesse. 

Bisher eher in der Statistenrolle, zumindest was die Erkennung einer Infektion angeht, ist das klassische Blutbild. Seine Parameter sind für die Sepsisdiagnose viel zu unspezifisch. Dafür treten nun neue „erweiterte“ Routine-Blutbildparameter vermehrt ins Rampenlicht und können die Diagnose und Therapie einer möglichen Sepsis auf der Intensivstation unterstützen. 

Neue Parameter und ihr Nutzen 

Die „neuen“ Sysmex Blutbildparameter spiegeln Reaktionen des Immunsystems genauer wider als klassische Parameter, weil sie den „Aktivitätsstatus“ der Zellen berücksichtigen. Numerisch wird erfasst, was für das Auge während der mikroskopischen Analyse nur schwer bis gar nicht zu erkennen ist. Sowohl bei systemisch-inflammatorischen (nicht infektiösen) als auch bei infektiösen Entzündungen kommt es zu einer Immunantwort, indem je nach Auslöser verschiedene Zellen mehr oder weniger Aktivierung zeigen, die für einzelne Zellklassen mithilfe der Fluoreszenztechnologie erfasst wird. Neue diagnostische Scores nutzen eine Kombination von klassischen und neuen Blutbildparametern und liefern damit sehr schnell und kostengünstig unterstützende Ergebnisse. Bemerkenswert sind zwei Scores*, die für die Diagnostik und das Therapiemonitoring kritisch kranker Patienten besonders interessant sind. 

RUO* COVID-19 Prognostic Score

Der Score beinhaltet zehn Parameter aus CBC, DIFF, PLT-F und RET-Messung, um bei positiven COVID-19-Patienten schon nach wenigen Tagen vorhersagen zu können, welche eine gute Erholung zeigen und welche innerhalb der nächsten 14 Tage intensivpflichtig werden. Die Ergebnisse der Studie waren beachtlich: Ein diagnostischer Score von > 3 war besser als jeder andere individuelle Parameter (AUC 0,875) und besser als die NLR (Neutrophilen-Lymphozyten-Ratio), um eine kritische Lage zu erkennen. Er diagnostizierte bereits drei Tage nach Hospitalisierung 70,5 Prozent der COVID-19-Patienten korrekt in kritische und nicht kritische Verläufe – am Tag sechs nach Hospitalisierung konnten 93 Prozent der Patienten korrekt als kritisch krank und intensivpflichtig erkannt werden. Der Score* unterstützt Ärzte, kritisch Kranke schnell zu erkennen und eine intensivmedizinische Versorgung besser zu planen. 

RUO* Intensive Care Infection Score (ICIS)

Der von der Arbeitsgruppe Weimann et al. publizierte ICIS-Score* ermöglicht eine frühe Erkennung von bakteriellen Infektionen bei Intensivpatienten. Der Score verknüpft fünf hämozytometrische Parameter aus CBC + DIFF + RET, die zum Teil sofort nach Infektion (NEUT-RI) und zum anderen über einen längeren Zeitraum erhöht sind (NEUT, IG, Delta-He, AS-LYMP). Der Vorteil des ICIS* ist es, dass er sich in wenigen Minuten bestimmen lässt und laut einer Studie von Weimann et al. (2015): J. Int. Med. Res. 43(3): 435–5, eine Infektion bereits wenige Stunden nach Beginn zu erkennen und über einen längeren Zeitraum (viele Tage) zu monitoren vermag. Zwar haben auch IL-10 und TNF-alpha zwei Stunden nach Infektion ihren Peak, nach sechs Stunden sind diese Parameter jedoch wieder abgeebbt, während CRP erst nach 24 Stunden ansteigt. ICIS* erreichte in vier Studien vergleichbare oder bessere Erkennungsraten als PCT und ist dabei deutlich schneller und kostengünstiger. ICIS* ist aktuell nur auf Forschungsniveau verfügbar und kann auf Anfrage für Studienzwecke genutzt werden, wenn die Systemvoraussetzungen gegeben sind. 

Neue Extended IPU Regeln

Erkenntnisse diverser Studien können sich zu Regeln auf Basis des Sysmex Workarea Managers Extended IPU zusammenfassen lassen und erste Hinweise auf eine bakterielle Infektion geben. Die Regeln nutzen die Parameter IG + DELTA-He + NEUT-RI. Die Kombination dieser Werte kann einen spezifischeren Hinweis auf eine mögliche Infektion liefern als eine isolierte Beurteilung: Dabei sprechen ein erhöhter IG und ein negatives DELTA-He genauso wie ein erhöhter NEUT-RI und ein negatives DELTA-He eher für eine bakterielle Infektion und lösen den Hinweis „Verdacht auf schwere bakterielle Infektion/Sepsis“ aus. „Schwere bakterielle Infektion unwahrscheinlich“ wird dagegen angezeigt, wenn IG niedrig und DELTA-He im Referenzbereich sind. Durch das Beobachten der Parameter besteht eine erste schnelle Möglichkeit aus dem Blutbild Hinweise auf eine mögliche bakterielle Infektion zu erhalten.  

Hospital Acquired Anemia (HAA) 

Die HAA beschäftigt Intensivmediziner zunehmend – insbesondere, weil das vor einigen Jahren gegründete Patient Blood Management (PBM), dessen Ziel ein medizinisches Konzept zur Steigerung der Patientensicherheit durch Stärkung der körpereigenen Blutreserven ist, immer mehr Beachtung findet. Das Konzept beruht auf drei Säulen: frühe Diagnose und Therapie der gegebenenfalls vorhandenen Blutarmut, Minimierung des Blutverlusts und rationaler Einsatz von Blutkonserven. 

Eine präoperative Anämie ist assoziiert mit längerer Verweildauer, höherem Infektionsrisiko, höherem Risiko für Nierenschädigungen und Mortalität. Ebenso benötigen diese Patienten häufig ein Vielfaches an Bluttransfusionen. Laut einer Studie leiden 11-48 Prozent der chirurgischen Patienten zum Zeitpunkt eines Eingriffs an einer Anämie und unterliegen damit dem sehr hohen Risiko einer Bluttransfusion, das auch bei Patienten mit latenter Anämie nicht sehr viel geringer ist. Selbst Patienten, die postoperativ länger auf der Intensivstation verweilen und initial einen normalen HB-Wert zeigen, entwickeln häufig im Lauf des Aufenthalts einen Eisenmangel oder eine Anämie.  

Für die Diagnose der Blutarmut ist die Hämoglobinbestimmung (HB) Standard. Der HB-Wert lässt einen Eisenmangel aber erst erkennen, wenn Eisenspeicher bereits geleert sind und/oder Eisen schon lange nur unzureichend für die Blutbildung vorhanden ist – wie das etwa bei Patienten mit chronischer Entzündung der Fall sein kann. Den akuten oder latenten Eisenmangel frühzeitig zu erkennen, vermag er nicht, da er sich nur sehr träge ändert. Neuere Blutbildparameter wie RET-He und Delta-He reagieren viel schneller und verdecken im Vergleich zu klinisch-chemischen Parametern (zum Beispiel Ferritin) den Eisenmangel nicht, sondern zeigen die Eisenverfügbarkeit verlässlich und frühzeitig an: „Je früher Eisenmangel therapiert wird, desto niedriger sind die Risiken. Dies gilt insbesondere bei Intensivpatienten“, betont der Chefarzt PD Dr. Hönemann. 

Risikofaktor Fremdblut 

Jede Bluttransfusion ist eine Art von Organtransplantation und hat enorme Auswirkungen auf den Organismus. Sie kann zu Lungenkomplikationen und Thrombosen führen und die Langzeitüberlebensrate deutlich reduzieren. Anästhesisten und Intensivmediziner sind sich daher einig, dass aufgrund der hohen Morbidität von Transfusionen die Ursache einer Anämie frühzeitig erkannt und dementsprechend behandelt werden muss. 

* RUO – nur für Forschung – Der Hersteller hat keinen Zweck der In-vitro-Diagnostik festgelegt. Daher ist eine interne Validierung in den Einrichtungen erforderlich, bevor Informationen verwendet werden, um eine Diagnose zu stellen oder über die therapeutische Behandlung zu entscheiden.
 

Summary

  • Neuere Blutbildparameter zeigen den Aktivierungsstatus der Zellen und geben Einblick in die Immunantwort 

  • RET-He und Delta-He zeigen die Eisenverfügbarkeit im Knochenmark in Echtzeit und ermöglichen so ein schnelles Therapiemonitoring 

 

Fotoquelle: Stocksy, Shutterstock 

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