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Epidemien damals und heute 

XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2021

 

Was wir von der Spanischen Grippe über Corona lernen können, das Erforschen am Institut für Evolutionäre Medizin PD. Dr. Kaspar Staub und seine Arbeitsgruppe an der Universität Zürich. Wir haben mit dem Epidemiologen gesprochen 

Text: Verena Fischer

 

Herr PD Staub, woran forschen Sie gerade? 

Ich beschäftige mich seit 2013 mit historischer Epidemiologie. Aktuell nutzen meine Forschungsgruppe und ich eine Datenquelle, die alle früheren Influenzafälle aus dem Kanton Bern beinhaltet, um den Verlauf der Spanischen Grippe mit der jetzigen Pandemie ins Verhältnis zu setzen. Corona ist natürlich nicht die Spanische Grippe, es gibt wichtige Unterschiede. 1918 waren es etwa vor allem junge Männer, die gestorben sind. Es ging außerdem gerade der Erste Weltkrieg zu Ende und viele Menschen waren eher mangelernährt. Auch die Welt war weniger vernetzt als heute, weniger schnell. Es gab beispielsweise keine Flugreisen. 

Gibt es denn auch Gemeinsamkeiten? 

Damals kannte man die Influenza auch schon und wusste, dass sie lokale Epidemien verursachen kann. Trotzdem handelte es sich bei der Pandemie 1918 um einen neuen Erreger. Und damit gibt es diverse Ähnlichkeiten in der Reaktion der Behörden. In der Schweiz werden Public- Health-Maßnahmen seit jeher auf kantonaler Ebene geregelt. Das war auch damals so. Und so hat der Kanton Bern frühzeitig Kontakte stark reduziert, so wie heute auch. Das hat dann schnell gewirkt, und die Infektionszahlen sind gesunken. So ließ sich die erste Sommerwelle schnell in den Griff bekommen. Doch dann wurde das Gleiche gemacht wie im Sommer 2020, und alle Maßnahmen wurden auf einmal gelockert. 

Und was passierte dann? 

Als die zweite Welle losging, haben die kantonalen Behörden die Hoheit über neue Public-Health-Maßnahmen den einzelnen Gemeinden übertragen. Also wurde dezentral langsam und abwartend reagiert, da die Angst vor neuen wirtschaftlichen Einschränkungen groß war und so ist ab Oktober 1918 die zweite Welle brutal angestiegen. Und man musste eben wenige Wochen später zentral eingreifen. Dieses Abwarten, das zögerliche Reagieren ist einer der Hauptgründe, wieso die zweite Welle im Herbst 1918 so fatal verlaufen ist. Und da sehen wir auch Parallelen zu 2020/21. 

Welche Maßnahmen haben sich historisch bewährt? 

Entscheidend ist nie eine einzelne Maßnahme, sondern immer ein Zusammenspiel verschiedener Ansätze. 1918 gab es, je nach Kanton, ganz unterschiedliche Ideen. Hier war der öffentliche Verkehr eingestellt, da nicht. Fabriken waren in dieser Stadt offen, in einer anderen zu. Da müsste man jetzt schauen, welche Maßnahme wirksam waren. 

Welche Forschungspläne haben Sie für die Zukunft? 

Es gibt viele Pandemien, die kaum aufgearbeitet sind und das wollen wir ändern. Wir planen, mit Computerlinguisten zu kooperieren und Ausbreitungsmuster anhand von epidemiologischen Daten mit Narrativen in Tageszeitungen zu verknüpfen. Es geht um Fragen wie: Wie wurde über eine Pandemie berichtet? Spielt es eine Rolle für den Verlauf? Wie hat sich die Berichterstattung verändert? Wir sehen, wie wichtig ein öffentlicher Diskurs ist, weil das auch dazu beiträgt, wie Menschen über eine Pandemie denken, was dann ihr Handeln beeinflusst. Und das Handeln der Menschen ist das Entscheidende in der Pandemie. Ich denke nicht, dass die Geschichte alles erklärt, aber sie kann einiges zur Diskussion beitragen. 

Summary

  • Während der Spanischen Grippe wurde mit ähnlichen Maßnahmen reagiert wie heute 
  • Mit der Aufarbeitung vergangener Pandemien wollen die Forscher einen Beitrag für aktuelle Interventionen liefern 

 

Fotoquelle: Shutterstock 

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